Jennifer Zantopp, Musiktherapie
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Musiktherapie bei Aphasikern


Therapieprinzipien

Es gibt drei unterschiedliche therapeutische Ansatzpunkte, eine Aphasie zu behandeln.

Das Konzept der Reaktivierung hat als Ausgangspunkt, dass einige Sprachfunktionen wieder nutzbar, oder zum Teil brauchbar, gemacht werden können. Nichts Neues soll gelernt werden, sondern der Zugang zu früheren Sprachfunktionen soll wieder aktiviert werden.
Dieses Konzept wird vor allem in der Zeit direkt nach der Erkrankung angewendet. Hirngewebe kann zum Beispiel durch die Operation angeschwollen sein und nach dem Abschwellen, können spontan einige Funktionen wieder zum Vorschein kommen.
Man versucht durch verschiedene Assoziationsketten wieder Zugang zu dem Wissen zu bekommen. Musiktherapie dient in diesem Konzept vor allem dazu, völlig verstummten oder sich ihrer Sprache schämenden Aphasikern einen Zugang zu ihren noch verbliebenen Stimmresten zu verschaffen.
Singen geschieht meist spontan über das Mitsummen von bekannten Liedern, stellt somit weniger Anforderungen an den Aphasiker als z.B. das Nachsprechen von Worten in der Sprachtherapie.
Außerdem ist Singen, im Gegensatz zu Sprechen eine Aktivität die man mit mehreren Menschen gleichzeitig ausführen kann. Das Mitsingen gibt dem Aphasiker Raum selbst auszuprobieren und in dem Gesamtklang zunächst unterzutauchen.
Das geschützte Ausprobieren mit der Stimme ist oft der erste Zugang zu weiteren Sprachübungen und sinnvoller Sprachtherapie.

Das Konzept der Reorganisation geht davon aus, dass Sprachfunktionen neu gelernt werden können, sie also von einem nicht beschädigten Hirnbereich übernommen werden können.
Dafür gibt es speziell entwickelte Trainingsprogramme, wie z.B. die Melodic Intonation Therapy (MIT). Dieses Therapiemodell geht davon aus, dass Wörter und Sätze durchaus abgerufen werden können, wenn sie an eine bestimmte Melodie gekoppelt sind.
Dieses Programm ist allerdings mit sehr viel Zeit und regelmäßigen Therapien verbunden. In der Musiktherapie wird vom Prinzip der Reorganisation normalerweise kein Gebrauch gemacht.
In Holland wird jedoch zur Zeit eine neue Therapieform (Speech Music Therapy for Aphasia) entwickelt, die das Prinzip der MIT als Ausgangspunkt hat, jedoch mehr auf die musiktherapeutischen Aspekte von Sprache eingeht.

Kompensation bedeutet, dass man weder durch Reaktivierung noch durch Reorganisation genügend Sprachfunktionen wiederherstellen konnte, um eine Kommunikation zu gewährleisten. Man sucht also nach Ergänzungsmöglichkeiten und Alternativen.
Eine wichtige Rolle spielen dabei der Einsatz von Körpersprache, der Umgang mit Wörterbüchern für Aphasiker und andere Strategien, sich anderweitig verständlich zu machen. Dazu gehört auch, dass der Aphasiker anzeigen kann, wann er etwas versteht und wann nicht.
In der Musiktherapie können solche Alternativen darin liegen, den Gebrauch der Stimmreste möglichst ausdrucksstark einsetzten zu können, also die Expressivität der Stimme zu fördern.
Ganz davon abgesehen kann in der Musiktherapie eine Kommunikation ohne Worte möglich werden durch das gemeinsame improvisieren auf Instrumenten.
Aphasikern ist es nämlich möglich, Aktivitäten in der Musik so zu gestallten, dass sie in Kontakt mit andere Menschen kommen können und in dieser musikalischen Beziehung eine Form des Ausdrucks finden können. Das ist sicher keine Kommunikationsform für den Alltag - jedoch eine aber eine Möglichkeit des emotionalen Ausdrucks.
Mehr zu diesem Thema können Sie in meiner Diplomarbeit lesen.

Warum ein System-therapeutischer Ansatz bei Aphasie?

Wie bei allen Krankheiten wird das Umfeld des Betroffenen mit beeinträchtigt - bei Aphasie jedoch besonders.
Jegliche Kommunikation ist erschwert und oft wissen Angehörige einfach nicht, was der bis vor kurzem so "normale Partner" jetzt überhaupt noch von den versteht, was sie ihm mitteilen.
Sie können nur schwer einschätzen, ob wirklich nur die Sprache in Mitleidenschaft gezogen wurde oder auch andere kognitive Funktionen. Das führt oft zu irrationalem Verhalten der Angehörigen.
Sie reden mit ihrem Aphsiker wie mit einem Kind, sprechen besonders laut, bevormunden ihn, oder wissen schlicht weg nicht was sie tun sollen, sind völlig hilflos oder probieren alle möglichen Formen von Übungen aus. (Selbstverständlich gibt es auch Angehörige, die gut mit der Situation umgehen.)
Betroffener und Angehörige bräuchten gegenseitig Hilfe und Verständnis, was aber wegen des Sprachproblems häufig ausbleibt.
Die Musiktherapie bietet Raum für beide Partner, sich auf einer anderen Ebene zu "treffen" und so wieder eine neue emotionale Beziehung aufzubauen. Die gemeinsam erlebten Erfahrungen geben neue Motivation den Alltag miteinander zu leben. Irrationale Verhaltensmuster der Angehörigen können in der musikalischen Interaktion hörbar gemacht werden und gegebenenfalls thematisiert werden.
Die Musik bietet auch den Raum andere Verhaltensmuster auszuprobieren. Musik bietet weiterhin die Möglichkeit, dass die Partner sich gegenseitig ihre Emotionen durch die Musik mitteilen können und so eine Chance besteht sich dem Anderen mitzuteilen, und oder Leid, Trauer oder Wut zu teilen.

Indikationen für Musiktherapie

Im Prinzip sollte jede Aphasie eine Indikation für Musiktherapie sein, da durch die Erkrankung ein psychischer Prozess der Krankheitsverarbeitung ausgelöst wird, der durch eine fachkundige Person begleitet werden sollte. Manche Aphsiker werden so gut von ihrem Umfeld augefangen, dass dieses diese Aufgabe übernimmt.
Eine deutliche Kontra- Indikation liegt vor, wenn der Aphasiker Wiederstände in der Musiktherapie zeigt. Das könnte daran liegen, dass er keinen Zugang zu dem Medium hat, oder etwas Anderes den Therapie- prozess behindert, wie etwa eine Übertragung auf den Musiktherapeuten.
Um die Indikation etwas spezifischer zu machen, folgt nun eine Liste von einzelnen Problembereichen, wie sie bei Aphasie auftreten können:

  • schwere globale Aphasie:
    • keine Möglichkeit sich anderweitig zu verständigen
    • keine oder nur geringe Möglichkeiten des Stimmbandgebrauchs
  • soziale Isolation:
    • Kontakten aus dem Weg gehen
    • Nicht adäquat reagieren können
    • Keinen Kontakt wollen
    • Kontaktversuche mit Frust abbrechen
    • psychische Probleme:- extreme Stimmungsschwankungen
    • Depressionen
    • Probleme im Umgang mit der eigenen Erkrankung (Frustration, Wut gegen sich selbst gerichtet, Hoffnungslosigkeit)
    • Probleme im Umgang mit Angehörigen oder Personal
  • Wernicke- und Broca-Aphasien:
    • Große Schwierigkeiten Worte, verbale Äußerungen zu beginnen oder abzubrechen.

Die Freude am Singen oder Musizieren ist keine Indikation im eigentlichen Sinne, da das auch in der Freizeit ohne therapeutische Aufsicht stattfinden könnte. Sie kann aber als guter Eingang für eine Therapie benutzt werden und die Grundstimmung des Patienten verbessern. Das wiederum kann eine Motivation sein, sich auch für andere Therapien zu öffnen.

Musiktherapeutische Behandelmethoden

Unterschiedliche Menschen und unterschiedliche Probleme im Umgang mit der Erkrankung erfordern auch eine Vielfalt an Therapiezielen und wie diese erreicht werden können.
Wie wir bei den Indikationen gesehen haben, kann Musiktherapie ein relativ weites Spektrum von Indikationen bedienen und zahlreiche Zielsetzungen haben. Diese Werden auch durch verschiedenen Aktivitäten innerhalb der Therapie erreicht, hier ein kleiner Überblick:

Rezeptive Musiktherapie:
Rezeptiv bedeutet, dass der Patient nicht aktiv am Musizieren beteiligt ist.
Es wird mit Musik gearbeitet, die entweder direkt vom Musiktherapeuten für den Patienten gespielt wird, oder von einer Aufnahme angehört wird.
Das Musizieren für den Patienten, kann als "Geschenk" für den Aphasiker angesehen werden und an die Wünsche und Bedürfnisse des Patienten angepasst sein.
So kann der Musiktherapeut die am Patienten abzulesende Stimmung in der Musik aufgreifen und so in der Erfahrungswelt des Aphasikers Anschluss finden. Das kann zum Ausdruck bringen, dass der Therapeut den Patienten versteht. Dieser "Empathische Spiegel" kann ein Ansatzpunkt sein, Gefühle auszulösen und ein Bild von sich selbst zu bekommen. (I see myself through you). Die Stimmung des Aphasikers kann aber auch langsam durch die Musik verändern, wenn diese nach und nach den Charakter ändert. So können z.B. stark depressive Patienten zeitweilig aus ihrer Depression geholt werden und zugänglicher für andere Therapien werden.
Diese form der Therapie hat einen sehr niedrigen Schwellenwert, da der Aphasiker keinerlei Aktivität zeigen muss, und im Gegensatz zu den meisten anderen Therapien keinerlei Anforderungen gestellt werden.
Das gemeinsame Aussuchen und Anhören von aufgenommener Musik, kann Emotionen frei setzten. Manche Musikstücken haben eine ganz besondere Bedeutung im Leben eines Menschen bekommen, die beim erneuten Anhören wieder erweckt wird und auch die daran gebundenen Gefühle und Erinnerungen. Ein "Zurückschauen" ist ein Teil der krankheitsverarbeitung, kann aber ach sehr konfrontierend sein und sollte gut beleitet werden. Natürlich ist es auch möglich seine ganz persönliche neue Lieblingsmusik zu entdecken, und so einen Schritt in die "Neue Zukunft" zu gehen.
Musik hören kann eine Entspannende Wirkung haben. Unter Anleitung können zusätzlich Entspannungsübungen durchgeführt werden, um Stress abzubauen. Manche Aphasiker leiden auch unter einer enorm hohen Körperspannung, die zusätzlich zu Aphasie das Sprechen erschwert, auch dafür können Entspannungsübungen sinnvoll sein.

Aktive Musiktherapie:
Aktiv bedeutet, dass der Patient selbst am Musizieren beteiligt ist.
Auch hierbei gibt es eine Vielzahl von möglichen Aktivitäten, um verschiedenen Anforderungen und Behandlungszielen gerecht zu werden. Einige Aktivitäten sind in der Gruppe möglich und sinnvoll, andere in der Einzeltherapie.

  • Sprachspiele: Sollen eine spielerischen Umgang mit Sprache oder Teilen von Sprache ermöglichen. Dazu gehört das Summen von Tönen, welche im kreis weiter gegeben werden, oder das Füllen von Wortlücken in einem Lied. Solche Spiele finden am besten in Zusammenarbeit mit Logopäden statt.
  • Interaktionsspiele: Haben zum Ziel die Patienten miteinander in Kontakt zu bringen, auf eine ungezwungene Art und Weise zu fördern, dass der Aphasiker wieder in der Lage ist auf Kontaktangebote einzugehen, oder selbst die Initiatieve dazu zu ergreifen. Ein einfaches Beispiel ist das Weitergeben von gespielten Tönen durch Blickkontakt, ein Dirigentenspiel, oder anverwandte Spiele.
  • Abrufen und Hemmen: Hat einen mehr übenden Charakter. Da viele Aphasiker Probleme mit dem Anfangen oder Beenden von Sprachaktionen haben, und diese häufig auch innerhalb der Musik zu beobachten sind, kann man durch einfache Vor-und-Nachspiel-Spiele üben eine Anfang oder ein Ende zu finden. Dazu gehört auch das "Puls finden". Ein Metrum, was gleichbleibend ist und einen Anfang und ein Ende hat.
  • Rhythmuswahrnehmung und Verarbeitung: Sprache besteht aus Rhythmus. Die Wahrnehmung und Ausführung ist jedoch häufig beeinträchtigt (auch durch andere Erkrankungen als Aphasie). In der einfachen Improvisation auf Trommeln kann geübt werden, Rhythmen wahrzunehmen, zu immitieren, oder das Gegenteil zu spielen. Das fördert auch die Konzentration und ist gleichzeitig eine Art Vorbereitung auf eine freie Improvisation.
  • Lieder singen: Wie schon eher erwähnt können Aphasiker oft erstaunlich gut Singen. Ihnen gut bekannte Lieder können häufig mit richtigem Text und vollständiger Melodie gesungen werden. Da Singen die einzige Sprachfunktion ist, die wenig unter der Aphasie gelitten zu haben scheint, bildet sie eine Brücke zwischen "Früher und Heute" zwischen "Gesundheit und Krankheit".
    Diese Funktion hat hohen Krankheitsverarbeitungswert. Zudem kann das Hören und Fühlen der eigenen Stimme einen erlösene Funktion haben. Während des Singens in einer Gruppe, kann sich der Aphasiker als weniger behindert erfahren, als in einer Gruppe von redenden Menschen.
    Naturlich lassen sich mit Liedern auch sprachspiele und Übungssituationen durchführen. Für die meisten Aphasiker ist es schwer eine Melodie ohne Text zu singen oder einen Text nur im Rhythmus der Melodie zu sprechen. Mit einiger Hilfe lassen sich diese Sprachvarianten aber wieder verbessern.
  • Gesangsübungen: Sind ein Übefeld für den Stimmklang, den Stimmumfang und einen ruhigen, kontrollierten Atemrhythmus.
    Zusätzlich kann man unter sprachtherapeutischer Anleitung das gezielte erzeugen von verschiedenen Vokalen und Lautkombinationen, auf eine spielerische Art und Weise üben. Wiederholungen werden interessanter durch verschiedene Tonhöhen und Rhythmen.
  • Improvisationen: Werden auf einfach zu spielenden Instrumenten durchgeführt und finden der Übersichtlichkeit wegen meist in Einzeltherapien statt. In dem musikalischen Kontakt von Patient und Therapeut ist es möglich einen Ausdruck an die Gefühlswelt zu geben und auf musikalischer Ebene in eine Interaktion zu kommen, wie sie auf sprachlicher Ebene nicht mehr möglich ist.
    Dieser Kontakt ist der Raum in dem der Musiktherapeut den Krankheitsverarbeitungsprozess des Patienten begleiten kann. Ihm ist es möglich durch die Musik seine Gefühle zu übermitteln, zu lenken oder zu spiegeln. Dies alles naturlich basierend auf Kenntnis von psychothrapeutischen Prozessen und in Absprache mit dem multiprofessionellen Behandlungsteam.
    Einen praktischen Einblick in diese Arbeit finden Sie im Therapiekaleidoskop.