Jennifer Zantopp, Musiktherapie
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Therapiekaleidoskop


Hier folgen fünf Impressionen aus der musiktherapeutischen Behandlung von zwei Patientinnen von mir, die beide an einer sehr schweren globalen Aphasie nach einem Schlaganfall erkrankt waren. Beide waren nur sehr eingeschränkt in der Lage sich verständlich zu machen.

a) Aus der ersten Therapiesitzung von Frau A
[...] Frau A sitzt in ihrem Rollstuhl ca. einen Meter vom Klavier entfernt, so dass sie die Tasten des Klaviers sowie mein Gesicht sehen kann.
Ich sitze hinter dem Klavier und spiele für sie.
Frau A sitzt zusammengesunken und sieht nur gelegentlich zu mir auf. Emotionen sind nicht zu erkennen. Sie scheint begriffen zu haben, dass ich für sie spiele und hört der Musik zu. Sie macht auf mich einen verlorenen Eindruck. Sie lässt alles geschehen, ohne Einfluss darauf nehmen zu wollen. Ich beobachte sie und probiere alle Gefühle die ihr Verhalten in mir auslöst in die Musik mit einfließen zu lassen. Außerdem probiere ich der Musik einen warmen Klang zu geben, um zu vermitteln, dass ich bei ihr bin.
Es entsteht eine Musik die sich überwiegend in Moll Tonarten bewegt. Die linke Hand spielt einfache gebrochene Akkorde, die rechte Hand dazu passend eine einfache ruhige Melodie. So weit das möglich ist probiere ich das Tempo ihres Atems als Grundpuls für meine Improvisation aufzugreifen. [...]

b) Aus der vierten Therapiesitzung von Frau A
[...] Wir sitzen nebeneinander zum ersten mal am Klavier. Sie rechts vom eingestrichenen C, ich links. Ich bediene das rechte Pedal. Ich versuche ihr zu zeigen, dass sie mit einem Finger probieren soll verschiedene Tasten zu drücken. Zunächst drückt sie so vorsichtig, dass die Seiten nicht klingen. Nach ein paar Versuchen hat sie den Bogen raus. Sie spielt verschiedene Töne in einem langsamen Tempo nacheinander. Mir bleibt genug Zeit um zwischen ihren Tönen mit einem zu dem Ton passenden Akkord zu antworten. Sie guckt zunächst, scheint dann aber die "Spielregeln" begriffen zu haben und probiert weiter verschiedene Töne aus. Da ich das Pedal immer kurz nach meinem Akkord eintrete und kurz vor ihrem nächsten Ton wieder loslasse, vermischen sich unsere Töne miteinander. Plötzlich hört sie abrupt auf und zeigt auf das Pedal. Ich bin mir zunächst nicht ganz sicher was sie meint. Vielleicht will sie wissen, wie das funktioniert. Ich probiere ihr das Prinzip zu zeigen, indem ich ihr Töne mit und ohne Pedal vorspiele. Sie hört und guckt interessiert zu und probiert schließlich selber aus, ob ihre Töne auch lange klingen, wenn ich das Pedal dabei für sie eintrete. [...]

c) Aus der zehnten Musiktherapiesitzung von Frau A
[...] Wir sitzen nebeneinander. Frau A hält ein Volksliederbuch auf den Knien. Ich habe sie gefragt, ob sie ein Lied auswählen kann. Sie blättert beschäftigt in dem Buch und sieht sich auch die Bilder an, die zu den Liedern gemalt sind. Ich summe leise die Melodien der Lieder, die sie gerade aufschlägt. Als wir bei "Ach wie ist´s möglich dann" angelangt sind, wird sie aktiver und ein "ach" enthuscht ihr. Ich frage sie, ob sie das Lied singen möchte, worauf sie "Ja" mit einem Nicken signalisiert.
Wir beginnen zu singen. Sie singt kräftig mit und ich beleite unseren Gesang auf der Gitarre. Als wir das Lied beendet haben, wirkt sie einerseits erleichtert, fröhlich, andererseits hat sie Tränen in den Augen.
Sie guckt mich direkt an und nickt mir zu, als wollte sie sich bedanken. Ich warte ihre weitere Reaktion ab, begegne ihren Blicken. Kurze Zeit bin ich versucht etwas zu fragen, interessiert mich doch was sie mit dem Lied verbindet. Da ich mir ziemlich sicher bin, dass ich die Antwort doch nicht verstehen würde und sie von sich aus keine Anstallten macht etwas zu sagen. Lasse ich die Atmosphäre von "gemeinsam etwas schönes erlebt zu haben" im Raum stehen.
Welche Bedeutung das Lied für sie hat, habe ich nicht herausgefunden, ich hatte aber das Gefühl, dass das ein bedeutungsvoller Moment für sie war. [...]

d) Aus der dritten Musiktherapiestunde von Frau B
Sie kommt in en Therapieraum und fährt direkt zum Klavier. Ich setzte mich neben sie und ohne Kommentar oder Blickkontakt beginnt sie mit einem Finger eine Melodie zu spielen.
Ich bin etwas verblüfft, gehe aber auf ihr Spiel ein und beleite ihre mit einem Finger gespielten, gleichmäßigen Melodien mit einfachen Akkorden.
Nach ca. 20 Minuten beendet sie das Spiel und sieht mich an.
Ich nicke und lächele ihr zu. Auf mich wirkt sie erholter und freier als zu Beginn der Sitzung. Die Improvisation war für mich wenig emotionell. Ich hatte mehr den Eindruck, dass sie eben ihre Ruhe haben will und sich entspannen, als das sie etwas mitteilen möchte. [...]

e) Aus der siebten Musiktherapiesitzung von Frau B
Ich hatte beschlossen, dass ich diesmal den vorsichtigen Versuch wagen wollte, doch an ihrer Stimme zu arbeiten. Bisher hatte sie außer "Ja" und "Doch" keine Äußerungen von sich gegeben und laut Aussage der Logopädin konnte sie nicht viel mehr äußern.
[...] Ich hatte ein kurzen Stück mit meiner Stimme für sie improvisiert und sie im Anschluss daran eingeladen doch bei der zweiten Improvisation auszuprobieren mitzusummen. Sie guckt zunächst etwas unsicher, worauf ich erkläre, dass es nicht schlimm ist, wenn es nicht gelingt.
Ich improvisiere summend weiter und probiere einen Klangteppich zu bilden, in dem sie ausprobieren kann, ohne direkt alleine singen zu müssen.
Ihre Versuche sind so zaghaft, das ich sie mehr erahne als höre.
Auffällig ist, dass sie nur einen einzigen Ton produziert, der ungefähr ein g (kleine Oktave) ist. Ich suche in meiner Stimme diesen Ton, bis wir beide gleichzeitig den selben Ton singen.
So endet diese Improvisation. (Die ganze Improvisation hat ca. 3 Minuten gedauert) Wir sehen einander an.
Ich frage sie, ob sie bereit ist beim nächsten mal wieder an der Stimme zu arbeiten.
In den nächsten Sitzungen nimmt das Üben an der Stimme mit Hilfe von Liedern und Gesangsübungen einen festen Platz ein. [...]

Ich hoffe, dass ich mit diesen Impressionen ein erstes Bild von Musiktherapie mit globalen Aphasikern geben konnte.
Vielleicht wird an diesen Beispielen deutlich, wie verschieden Musiktherapie aussehen kann und auf welchen Ebenen sich der Kontakt zwischen Therapeut und Patient abspielt.
Natürlich steht hinter den oft so einfach erscheinenden Tätigkeiten in der Musiktherapie ein fundiertes Wissen über Psychotherapie, Musik und die Erkrankung selbst.
Wer mehr wissen möchte sollte noch weiter auf dieser oder einer anderen Seite herumstöbern!